Der Einstandspreis ist … unvergesslich. Zu den Eigenheiten vieler Menschen zählt die Verklärung der Vergangenheit. Vor allem Aktienanleger wünschen sich oft die gute alte Zeit zurück, als der deutsche Dax jenseits von 8.000 Punkten notierte, das eigene Depot nur Freude bereitete und die T-Aktie an der Börse für mehr als 100 Euro umging. Zwar ist der Blick zurück hin und wieder sinnvoll. Aber die vermeintlich Goldenen Zeiten von früher sind ein denkbar schlechter Ratgeber für eine in die Zukunft gerichtete Anlagestrategie.
Die Psychologie ist ein bedeutsamer Faktor für die Entwicklung insbesondere der Aktienmärkte. „Vor allem Privatanleger treffen Anlageentscheidungen bisweilen nicht aufgrund rationaler Erwägungen, sondern aus dem Bauch heraus“, sagt Reinhard Berben, Geschäftsführer Deutschland der Fondsgesellschaft Franklin Templeton Investments. Einen besonders großen, oft zu großen Raum nimmt dabei das Festhalten an der Vergangenheit ein. Dies wird deutlich speziell in Börsenphasen, die auf einen heftigen Kurseinbruch folgen – wie zuletzt im Jahr 2008, als sich die weltweite Finanzkrise mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers zuspitzte.
Der ewige Gedanke an den Einstandspreis
„Anleger bewerten ihre Investments immer vom Referenzkurs aus. Je weiter der aktuelle Kurs vom Einstandskurs entfernt liegt, desto stärker sind die Gefühle. Das beeinflusst die Börse“, sagt Gianni Hirschmüller, Gesellschafter der Frankfurter Cognitrend GmbH. Das Mitte der 90er Jahre gegründete Unternehmen machte den wissenschaftlichen Ansatz des „Behavioral Finance“ auch in Deutschland bekannt. Wissenschaftlich untersucht wird hier vor allem der Einfluss psychologischer Faktoren auf Anlageentscheidungen und die Entwicklung der Finanzmärkte.
Das Festhalten an der Vergangenheit wird in der Wissenschaft als „Verankerung“ bezeichnet. Dieses Phänomen zeigt sich in vielen Bereichen des Lebens und überall im Alltag. Welche Auswirkungen der – oft übertriebene – Bezug zur Vergangenheit auf Investmententscheidungen sowie den Erfolg und Misserfolg von Anlageentscheidungen hat, zeigt eine Studie des Professors für Psychologie und Verhaltensökonomik an der Duke University in den USA Dan Ariely. Ergebnis: Anleger haben gleichsam ein Elefantengedächtnis im Hinblick auf den Einstandskurs einer Aktie, also den Kaufpreis plus der Erwerbsnebenkosten.
Sobald sich dieser anfängliche Kurs im Kopf des Anlegers festgesetzt hat, „beeinflusst er nicht nur die Wahrnehmung des aktuellen, sondern auch des künftigen – also des erhofften oder angestrebten – Aktienkurses“, sagt Reinhard Berben. Auf dieser Grundlage würden dann oft falsche Anlageentscheidungen für die Zukunft getroffen. Woraus denn zwei typische Fehler resultierten.
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Manchmal muss „Scheidung“ einfach sein
So spotten Börsenprofis über jene Anleger, die zu lange an verlustträchtigen Investments festhalten, also mit ihnen „verheiratet“ bleiben. Diese Treue hat denn auch fast ausschließlich psychologische Gründe, die „Verankerung“. Investoren behalten trotz hoher Kursverluste eine schlechte Aktie im Depot, weil sie sich – erstens – nicht eingestehen möchten, seinerzeit eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Und – zweitens – in der Hoffnung, dass das Papier lieber früher als später seinen Einstandskurs wieder erreicht. Ein Fehler, der viel Geld kostet. Denn dadurch wird Kapital gebunden, das an anderer Stelle gewinnträchtig investiert werden könnte.
Ähnlich falsch: der Verkauf einer, vorübergehend, verlustträchtigen Aktie, sobald diese ihren Einstandskurs wieder erreicht hat – und dies ungeachtet künftiger Perspektiven des jeweiligen Unternehmens und der Kurschance seiner Aktien. Bekanntlich durchlaufen Firmen bisweilen schwierige Phasen, die sich in sinkenden Aktienkursen spiegeln und durchaus ein paar Jahre dauern können. Für Anleger, die einen solchen Wert in ihrem Depot haben, eine schwierige und auch Nerven zehrende Zeit. Der naheliegende Entschluss: sofortiger Verkauf der betreffenden Aktie, sobald das Unternehmen sich wieder erholt und die Aktie den Einstandspreis erreicht hat. Das kann die richtige Entscheidung sein – ist sie häufig aber nicht. Wer so vor rund zehn Jahren mit der Apple-Aktie verfahren wäre, und es gibt noch viele weitere Beispiele, dem wären riesige Kursgewinne entgangen.